Jeder Tropfen zählt- Haltung in der Begleitung von Menschen mit Demenz
Tagebucheintrag – Wasser und Tropfen
Heute denke ich darüber nach, wie wichtig Wasser für jeden von uns ist. Jeder Schluck nährt uns, hält uns am Leben, erfrischt Körper und Geist. So wie das Meer aus unzähligen Tropfen besteht, sind auch wir Teil eines großen Ganzen. Jeder Tropfen, den wir trinken, ist ein kleiner Beitrag zu unserem Wohlbefinden, genauso wie jeder Mensch Teil des Miteinanders ist.
Wenn wir genug trinken, fließt alles leichter: Gedanken, Gefühle, Begegnungen. Wir sind stärker, klarer, offener. So wie das Wasser die Wellen trägt, tragen wir einander – jeder Tropfen zählt, jeder Mensch ist wichtig, und zusammen entsteht etwas Größeres, ein Strom voller Kraft und Leben.
Besonders denke ich heute auch an Menschen mit Demenz. Für sie ist es oft eine Herausforderung, genug zu trinken – manchmal vergessen sie es, manchmal erkennen sie das Bedürfnis nicht mehr. Umso wichtiger ist es, achtsam zu begleiten: mit einem freundlichen Erinnern, mit einem gemeinsamen Anstoßen, mit einem Satz, der Freude weckt.
Ich erinnere mich an eine Situation mit meiner Schwiegermutter Elfriede Meier:
Wir saßen beisammen, und das Glas Wasser wollte einfach nicht leer werden. Da sagte ich zu ihr: „So jung kommen wir nicht wieder zusammen – darauf lass uns anstoßen.“ Sie lachte, hob ihr Glas und trank. Manchmal braucht es nur einen kleinen, heiteren Impuls, um das Trinken leichter und freudvoller zu machen.
Es erinnert mich daran, achtsam zu sein: auf mich selbst, auf andere, auf das, was uns verbindet. Denn nur wenn wir uns nähren, können wir auch für andere leuchten und fließen – wie Tropfen im Meer. Und manchmal genügt schon ein Glas Wasser, um ein Stück Lebensfreude zurückzubringen.
Während meines Urlaubs auf der Insel Juist habe ich einige Szenen erlebt, die mir gezeigt haben, was Haltung in der Begleitung bedeutet:
Auf einer Parkbank saß ein älteres Ehepaar. Der Mann hielt liebevoll die Hand seiner Frau und erklärte ihr geduldig, dass sie noch ein wenig warten sollten, weil es am Abend ein Galadinner im Hotel geben würde – und dass sich das lohnen würde. Er schenkte ihr Orientierung, Sicherheit und Vorfreude.
Am Hammersee traf ich eine ältere Dame, die mit ihrer Tochter unterwegs war. Die kleinen Unebenheiten und Baumwurzeln machten ihr zu schaffen, doch ihre Tochter ermutigte sie: „Du machst das richtig gut – gleich wird der Weg einfacher.“ Mit diesem Zuspruch schenkte sie nicht nur Halt, sondern auch Mut.
Und am Strand sah ich ein stilles Bild der Begleitung: Ein Rollator, der geduldig wartete, bis seine Besitzerin – unterstützt von einer Begleitung – zurückkehrte. Auch hier zeigte sich, dass Halt manchmal wortlos, leise und selbstverständlich da ist.
Diese Bilder haben mich tief berührt. Sie zeigen, was eine achtsame Haltung ausmacht: Geduld, Zuwendung, Ermutigung, Orientierung. Es sind kleine Gesten, und doch sind sie groß in ihrer Wirkung.
Denn wie das Wasser uns nährt, so stärken auch diese Momente der Aufmerksamkeit unsere Seele. Jeder Tropfen zählt – und jeder liebevolle Moment kann wie ein Strom voller Kraft und Leben wirken.
So wie in unserem Körper jede Zelle miteinander verbunden ist und miteinander kommuniziert, so sind auch wir als Menschen Teil eines großen Ganzen. Je besser die Qualität des Wassers und je achtsamer unser Umgang miteinander, desto leichter fließen unsere Verbindungen – körperlich, geistig und emotional. Wir sind genährt, gestärkt und verbunden.
In meiner Arbeit mit Integrativer Validation nach Nicole Richard ist genau das der Kern: Menschen da abzuholen, wo sie stehen, Gefühle ernst zu nehmen, Halt zu schenken und Würde zu bewahren.
Wie erlebst du Haltung in deinem Alltag – beim Begleiten, im Miteinander, im eigenen Leben?
Mehr über meine Arbeit mit Integrativer Validation findest du hier
